Neurologische Komplikationen bei Covid-19

Dass Covid-19 auch andere Organe als die Lunge betrifft, ist nicht neu: Mehr und mehr erweist sich die Infektion mit dem Coronavirus als körperweites Krankheitsgeschehen, das auch Nerven und Gehirn nicht verschont. Laut den Forschern treten Hirnentzündungen, Schäden an den Myelinhüllen der Nervenbahnen und auch Hirnschläge nicht nur bei Patienten mit schweren Verläufen auf, sondern auch bei milden Fällen. Die Tatsache, dass bis zu zwei Drittel aller Infizierten Riechstörungen entwickeln, demonstriert, dass das Coronavirus auch die Nerven angreift. Über den Riechnerv kann das Virus zudem relativ ungehindert bis ins Gehirn gelangen. Tatsächlich berichteten chinesische Mediziner schon im April 2020 von einer auffälligen Häufung neurologischer Symptome bei Covid-19-Patienten in Wuhan. Gut ein Drittel der 214 von ihnen untersuchten Patienten zeigten neurologische Symptome unterschiedlicher Art, von Kopfschmerzen über Schwindel und Delirien bis hin zu Krampfanfällen und Hirnentzündungen. Weil Sars-CoV-2 auch die Blutgerinnung verändert, kommt es zudem häufiger als normal zu Schlaganfällen,

Hirnentzündungen, Nervenschäden und Lähmungen. Um mehr Klarheit über die Häufigkeit dieser Komplikationen zu erhalten, haben Forscher bis Mitte Mai 2020 veröffentlichte Fallberichte und Studien aus aller Welt ausgewertet. Insgesamt stießen sie dabei auf 901 Fälle von Covid-19-Patienten mit neurologischen Komplikationen. Darunter befanden sich auch 19 Patienten mit einem Guillain-Barré-Syndrom. Zusätzlich traten auch Fälle von Entzündungen und Ausfallerscheinungen peripherer Nerven oder des Rückenmarks auf, sowie Krampfanfälle und weitere Symptome gestörter Nervenfunktion. Ob diese neurologischen Krankheitsbilder vom Coronavirus selbst oder indirekt durch das angegriffene Immunsystem verursacht werden, ist jedoch bislang offen.

Wie die Fallanalysen ergaben, treten die neurologischen Auffälligkeiten nicht nur bei Patienten mit schweren Verläufen auf, sondern auch in milden Fällen und bei jüngeren Menschen. Ebenfalls sehr häufig unter den neurologischen Covid-19-Manifestationen scheint eine sonst fast nur bei Kindern auftretende Komplikation zu sein. Bei dieser akuten disseminierten Enzephalomyelitis (ADEM) greift das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenbahnen an und stört so die Nervenleitung. Typischerweise tritt diese Autoimmunreaktion einige Wochen nach einer Infektion auf, ist aber mit Kortisonpräparaten gut behandelbar und klingt dann ab. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gangstörungen und Lähmungen, aber auch Krampfanfälle. Wie nun festgestellt wurde, kann Covid-19 diese Enzephalomyelitis auch bei Erwachsenen verursachen – und das selbst bei fast völligem Fehlen anderer typischer Infektionssymptome. Auch an anderen Universitäten wurde über eine Häufung solcher Hirnentzündungen und Enzephalomyelitis berichtet. Es ist daher sehr wichtig, auch Patienten nach scheinbar überstandener Infektion weiter im Auge zu behalten, weil sich einige dieser Komplikationen erst einige Wochen später manifestieren können. „Man sollte wachsam sein und auch bei den Genesenen auf solche Komplikationen gefasst sein“.

Quelle: Mark Ellul (University of Liverpool) et al., Lancet Neurology, doi: 10.1016/S1474-4422(20)30221-0; Michael Zandi (University College London) et al., Brain, doi: 10.1093/brain/awaa240