Nutzen und Risiken einer Stammzelltransplantation am Beispiel der aggressiven Multiplen Sklerose (MS)

Sabine Nett

Zwischen Hoffnung und Skepsis

Bei einem unserer zahlreichen Online-Meetings, die wir in den letzten Monaten durchführten, wurde Herrn PD Dr. Dr. Stettner neben anderen interessanten Fragen auch folgende Frage gestellt: Warum ist die Stammzellentherapie keine zugelassene Therapie bei CIDP? Seine Antwort darauf lautete: Das Problem ist, dass das eine äußerst schwere Therapie ist. Das Risiko unter so einer Therapie zu versterben ist nicht ganz klein. Deshalb ist es zwar eine mögliche Therapie, aber die macht man wirklich nur dann, wenn dass die letzte Möglichkeit einer Therapie ist. Die Krankenkasse bezahlt das nur in Einzelfällen. Die ethische Auffassung als Arzt muss immer sein, das Ziel zu verfolgen, keinen Schaden zuzufügen und zu heilen.

Wie funktioniert die Stammzelltransplantation

Bei dem Verfahren wird das Immunsystem via Chemotherapie zerstört und anschließend mit zuvor entnommenen eigenen Stammzellen wieder neu aufgebaut, eine Art Neustart des körpereigenen Abwehrsystems. Das neu aufgebaute Immunsystem greift im Gehirn die Nervenzellen nicht weiter an: Die MS wird so gestoppt.

Vorbestehende Schäden an den Nervenbahnen bleiben aber bestehen.

Ablauf der Behandlung

Die AHSCT ist eine einmalige Behandlung von ca. 4 Wochen. Als Erstes werden dem Patienten nach Anregung eigene Blutstammzellen entnommen und eingefroren. Danach werden mittels einer Chemotherapie die körpereigenen Immunzellen abgetötet, was zu bekannten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schleimhautschädigung und vorübergehendem Haarverlust führen kann. Diese Nebenwirkungen sind begrenzt auf die Dauer der Chemotherapie. Es werden dem Patienten nun die eigenen Blutstammzellen wieder zugeführt und der Körper setzt das Immunsystem neu auf. In dieser Zeit ist der Körper besonders anfällig für Infektionen, daher verbleibt der Patient in der Klinik und es werden prophylaktisch Antibiotika verabreicht.

Langzeitnebenwirkungen können das Auftreten von Krebs (2%) sowie anderen Autoimmunerkrankungen (5%) sein.

Quelle: Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft https://www.multiplesklerose.ch/de/aktuelles/detail/autologe-stammzelltransplantation/

Für 10 bis 20 Prozent aller MS-Patienten sei die Stammzelltransplantation eine gute oder bessere Alternative zu Medikamenten, so Roland Martin. Andere Neurologen aber, wie der Basler Professor Ludwig Kappos, sind da deutlich skeptischer: Kappos hält die Stammzellbehandlung für riskant, da es bei der Chemotherapie auch zu Todesfällen kommen kann. Zudem sei die Wirksamkeit der Methode in Studien noch ungenügend belegt. Die bisher erschienenen Studien sind laut Kappos zu klein und nicht genügend mit einem der wirksamen neuen Medikamente verglichen worden.

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel:

https://www.srf.ch/sendungen/puls/ms-stammzelltherapie-zwischen-skepsis-und-letzter-hoffnung

Wissenschaftler sehen den Benefit der Stammzelltransplantation generell eher bei jüngeren Patienten mit aggressiver MS mit weitestgehend erhaltener Selbstständigkeit und aktiver Erkrankung.

Doch da stellen sich einige Fragen:

Wie jung ist jung genug?

Wie lange sollte die Erkrankung bereits bestehen? Und rechnet man vom Zeitpunkt der ersten Symptome oder vom Zeitpunkt der Diagnose an?

Wie ausgeprägt sollte die Krankheitsaktivität sein?

Berücksichtigt man ausschließlich klinische Beschwerden oder auch asymptomatische Herde, die lediglich in der MRT auf­fallen?

Wie viele Zyklen mit hochaktiven Medikamenten müssen erfolgen, bevor eine Stammzelltransplantation angedacht ist?

Eine aktuelle Studie mit 20 Patienten aus Europa und Amerika beschäftigt sich ebenfalls mit diesem Thema: Wann kann man bei aggressiver MS an Stammzellentransplantation denken?

Die autologe hämatopoetische Stammzellentransplantation (AHSCT) ist eine mögliche Behandlung für Patienten, wenn die Krankheit trotz Behandlung mit den üblichen krankheitsmodifizierenden Medikamenten sehr aktiv ist. Zu welchem Zeitpunkt eine AHSCT allerdings optimal Patienten mit einer solchen ‚aggressiven‘ MS angeboten werden sollte, ist noch unklar.

In einer retrospektiven Studie analysierten Forscher nun die Krankheitsverläufe bei 20 Patienten mit aggressiver MS. Ziel der Studie war es, zu untersuchen, wie sicher und wirksam die Stammzelltherapie AHSCT in der Erstlinie für Patienten mit aggressiver MS ist. Das mittlere Intervall zwischen Diagnose und AHSCT betrug 5 (1 – 20) Monate. Alle Patienten hatten mehrere nachteilige prognostische Marker und einen durchschnittlichen Behinderungsgradvor der Stammzelltransplantation.

Nach einer Nachbeobachtung über 30 Monate (12 – 118) verbesserte sich der mediane EDSS auf 2,0 (0 – 6,5, p < 0,0001). Kein Patient erlitt weitere Rückfälle im Beobachtungszeitraum. Bei drei Patienten wurde im bildgebenden Verfahren MRT eine restliche Krankheitsaktivität in den ersten 6 Monaten nach der Transplantation gesehen. Es zeigten sich jedoch keine weiteren neuen oder verstärkten Läsionen in den folgenden MRT-Scans.

Die Forscher schließen daraus, dass die autologe Stammzelltransplantation AHSCT sicher und wirksam als krankheitsmodifizierende Erstlinien-Behandlung zum Erreichen einer schnellen und anhaltenden Remission bei Patienten mit aggressiver MS ist.

Quelle: © Alle Rechte: DeutschesGesundheitsPortal.de
Autor: Das, J, JA Snowden, J Burman, MS Freedman, H Atkins, M Bowman, RK Burt, et al. “Autologous Haematopoietic Stem Cell Transplantation as a First-Line Disease-Modifying Therapy in Patients with ‘ ’ Multiple Sclerosis.” Multiple Sclerosis Journal, February 10, 2021, 135245852098523. https://doi.org/10.1177/1352458520985238.