Prof. Dr. Lehmann stellte im Online-Gesprächskreis aktuelle Daten zu GBS/CIDP, COVID-19 und Impfung vor.
Die Impfung reduzieren das Risiko an COVID-19 schwer zu erkranken. Sie reduziert die Verbreitung des Virus und ist für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens unabdingbar. Mit Abbildungen stellte Prof. Lehmann die Effekte von Impfungen auf die Verbreitung von Infektionserkrankungen dar. Hier sind die Erkrankungsfälle in Deutschland dargestellt. Grafiken zeigen was passiert, wenn eine Bevölkerung geimpft wird. Zum Beispiel Diphterie, die Impfstoffe wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. 1960 wurde es in der DDR sogar zur Pflichtimpfung. Man sieht, dass die Zahlen dramatisch nach unten gehen. Eindrucksvoll ist das Beispiel Polio als in den 60er Jahren in Deutschland die Schluckimpfung begann. Das hat ganz massiven Einfluss auf das öffentliche Gesundheitswesen. Es gibt verschiedene Arten von Impfungen, Tot- und Lebendimpfstoff und gentechnisch hergestellten Impfstoff. Zurzeit geht es auch um die Auffrischung. Grundsätzlich eine Auffrischung wird empfohlen bei allen Patienten, die eine Immundefizienz haben.
Nach einer COVID-19 Impfung sind in sehr selten Fällen nachfolgend von einem GBS berichtet worden. Das zeigte Prof. Lehmann und ordnete die Zahlen ein. Er beruft sich auf den Sicherheitsbericht des Paul Ehrlich Institut (PEI). Diese Behörde ist dem Gesundheitsministerium unterstellt, ist für Arzneimittelsicherheit zuständig und wertet alle Nebenwirkungen von Medikamenten aus. Das PEI erstellt alle paar Monate einen sogenannten Sicherheitsbericht, in dem all diese Nebenwirkung aufgeführt werden. Dieser ist frei verfügbar auf der Startseite des PEI. Wichtige Grundlagen zu diesem Sicherheitsbericht sind:
In Deutschland sind bis zum 31. August über hundert Millionen Covid-19 Impfungen durchgeführt worden.
Bis 30.9.2021 wurde der Impfstoff von BioNTech 82 Millionen mal, 12 Millionen Impfdosen von AstraZeneca, 9 Millionen von Spikevax und 3 Millionen von Janssen geimpft.
Grundlage der Berechnungen ist, wie viele GBS Fälle müssten in Deutschland auftreten. Man kann damit rechnen, dass pro Jahr etwa 1700 – 2200 Personen an GBS erkranken. Das Institut berechnet wie viele GBS Fälle in dem Zeitraum ohne Impfung gefunden werden müssten und vergleicht wie viele im gleichen Zeitraum im Zusammenhang mit einer Impfung genannt wurden. So sieht man, dass beim Impfstoff BioNTech zwar einige Fälle von GBS in einem zeitlichen Zusammenhang gemeldet wurden, diese statistisch gesehen nicht mehr sind, als man in der Bevölkerung insgesamt in diesem Zeitraum auch erwarten würde. Nach der Impfung mit Vektorimpfstoffen gibt es einige GBS Fälle mehr, als in gleicher Zeit zu erwarten wären.
Unsere Frage, was ist denn, wenn man GBS hatte, sollte man sich impfen lassen und was ist im Spezialfall, wenn das GBS damals durch eine Impfung hervorrufen wurde. Dazu zitierte Prof. Lehmann eine Studie, die vor ein paar Wochen veröffentlicht wurde. In Israel wurde etwa ein Viertel der Bevölkerung untersucht. In der Impfkampagnen haben die israelischen Neurologen GBS nicht zum Ausschluss Kriterium erklärt. Diese früheren GBS Erkrankten wurden in den Statistiken gesucht und 700 Fälle identifiziert. Von diesen 539 zweifach geimpften Patienten hatten sich wegen neurologischer Störungen fünf in einem Krankenhaus vorgestellt. Zwei hatten Sensibilitätsstörungen ein Patient hatte einen Tremor, ein Patient hatte einen Krampfanfall und nur ein einziger Patient hatte ein GBS entwickelt. Aus Sicht von Prof. Lehmann ist ein GBS in der Vergangenheit kein grundsätzliches Ausschlusskriterium für eine Impfung.
Es folgte ein Austausch.
Frage: Im Sicherheitsbericht stehen doch gemeldete Fälle bei allen Impfstoffen. Wieso ergibt dies kein Risiko Signal für mRNA Impfstoffe?
Prof. Lehmann: Es gab bei allen Impfstoffen GBS-Fälle. Die werden in Relation zu der behandelten Anzahl gesetzt. Bei der deutlich geringeren Anzahl von Impfdosen mit Vektorimpfstoff führen die gleiche Anzahl von GBS Fällen zu einer Risikowarnung. Ich bin der Meinung, dass man sich auch wenn man mal GBS hatte impfen sollte und zwar mit mRNA Impfstoffen.
Anfang Oktober im Symposium der International GBS CIDP Foundation wurden die Zahlen der GBS Diagnosen im letzten Jahr dargestellt. Es gab keine Veränderungen zu den vorangegangenen Jahren. In Deutschland werden alle GBS Fälle, die vielleicht durch eine Impfung ausgelöst wurden, dargestellt, aber alle anderen GBS Fälle werden nicht dargestellt. Wir haben kein Register dafür.
Frage: Im Vergleich zu den normalen oder den Vorgängerjahren haben wir hohe Hygieneschutzmaßnahmen, dadurch insgesamt weniger Infektionen bekommen, somit müssten die GBS-Fälle eigentlich zurückgehen.
Prof. Lehmann: Das kann tatsächlich sein. Andererseits kann COVID-19 auch GBS auslösen. Das ist in der Fachwelt noch umstritten. Ich habe das im letzten Winter mehrfach gesehen.
Frage: Ist ein Antikörpertest geeignet, um die Impfeffektivität nachzuweisen.
Prof. Lehmann: Das weiß keiner genau. Man kann davon ausgehen, dass die Impfung keine hundert Prozent Schutz vor Ansteckung bietet, aber falls Sie sich anstecken, wird das nicht mit einem schweren Krankheitsverlauf einhergehen.
Frage: Ich bin auch zweimal geimpft, werde mit Rituximab behandelt. In welchem Abstand zur Rituximab Therapie sollte ich eine Auffrischungsimpfung erhalten?
Prof. Lehmann: Sie brauchen das Medikament und sie brauchen die Impfung. Der Impfschutz kann nicht effektiv sein, wenn der Abstand zur Rituximab-Therapie zu gering ist. Ich würde ein paar Wochen Abstand halten.
Frage: 1992, mit 2 Jahren, hatte ich GBS. 2005 und 2013 flammte GBS wieder auf. Ein Arzt sagte ich darf mich nicht impfen lassen, wegen dem Impfstoff, man muss einen Totimpfstoff nehmen. Meine Frage ist steckt das Immunsystem nach GBS eine COVID-19 Infektion besser weg?
Prof. Lehmann: Es gibt keine Daten zum Covidverlauf, wenn man GBS hatte. Wenn man Einschränkungen hat, ist das Risiko eines schweren Corona Verlaufs höher. Alter ist ein Risikofaktor, aber auch zum Beispiel bestimmte Vorerkrankungen. Ich sehe keine absolute Kontraindikation gegen die Impfung.
Frage: Gibt es Alternativen zu IG-gaben oder Plasmapherese, wenn die keine Hilfe bieten? In welchem Zeit Horizont können vielleicht weitere Therapien zur Verfügung stehen?
Prof. Lehmann: IG und Plasmapherese sind die Therapie, auf die wir zunächst zurückgreifen. Eine andere Möglichkeit wäre noch Cortison. Allerdings hat Cortison natürlich deutlich mehr Langzeitnebenwirkung. Aber auch wenn diese Therapien nicht ansprechen, kann man durchaus andere Therapien versuchen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel das Rituximab oder Endoxan. Es gibt keine guten Studien dazu, aber das schließt natürlich eine Wirksamkeit im Individualfall nicht aus.
Frage: Welche Medikamente kann man bei einem Aktionstremor nutzen, wenn Gabapentin nicht wirkt?
Prof. Lehmann: Tremor ist ein Symptom das bei verschiedenen Erkrankungen auftreten kann, zum Beispiel bei Parkinson, aber auch bei Neuropathien. Ein Tremor ist häufig nicht so einfach zu behandeln. Ein Therapieversuch wäre zum Beispiel das Gabapentin, was wir gelegentlich einsetzen ist ein Medikament namens Primidon.
Nachfrage: Schon alles mal ausprobiert leider hilft das nicht, weil möglicherweise gibt es bei mir noch eine hereditäre Komponente nicht nur das reine CIDP.
Prof. Lehmann: Beim Tremor sollte man nicht schnell aufgeben. Es gibt eine Reihe anderer Therapiemöglichkeiten. Zu den Nebenwirkungen bei Liskantin wäre zu empfehlen mit ganz geringer Dosis zu beginnen und so langsam zu steigern, dass dem Körper die Möglichkeit gegeben wird sich daran zu adaptieren. Gabapentin und Pregabalin sind die Mittel der ersten Wahl, da wird häufig der Fehler gemacht, dass es zu niedrig dosiert wird.
Frage: Fünf Zyklen IG haben stattgefunden und nach dem fünften gab es anders wie früher keine Verbesserung. Gibt es eine für Erklärung für solche Wirkungsschwankungen, oder gibt es andere Erklärungen dafür?
Prof. Lehmann: Das kann durchaus sein, dass man Schwankungen wahrnimmt. Zwischen den einzelnen Batches oder Chargen gibt es durchaus Unterschiede. Ich würde abwarten wie die nächsten Infusionen wirken. Genauso verhält sich es auch mit den Nebenwirkungen. Sie können immer mal auftreten, aber wenn sie einmal auftreten, heißt es nicht, dass sie immer wieder auftreten. Neben diesen Möglichkeiten gibt es auch Unterschiede in der Krankheitsaktivität beim Patienten. Vielleicht war die Erkrankung während des Zeitraums der fünften Infusion etwas aktiver.
Frage: Gibt es Möglichkeiten mit Ernährung oder anderen begleitenden Therapien etwas zu verändern?
Prof. Lehmann: Ich rate allen Patienten, die in unser Klinikum kommen zu mediterraner Kost. Also etwas weniger Fleisch, viel Gemüse, Olivenöl, auch mal ein Glas Rotwein am Abend ist ok. Nicht rauchen, das sind so die allgemeinen Hinweise, die nicht spezifisch auf die Erkrankung ausgerichtet sind.
Frage: Kann eine 3 Wochen nach einer Infusion auftretende Schuppenflechte Nebenwirkung der IG sein?
Prof. Lehmann: Grundsätzlich würde man erwarten, dass Nebenwirkungen ganz initial innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden nach der Infusion auftreten. Das Medikament ist vor allem innerhalb der ersten 3 Wochen im Körper, das steigt mit der Infusion sehr schnell an und baut sich langsam ab. Also man würde eher direkt nach der Infusion Nebenwirkungen erwarten. Hautveränderungen, oder Veränderung wie der Sensibilität der Haut, sind eher ein langfristiger Prozess. Die können durch die Erkrankung selbst hervorgerufen werden und sind eigentlich nicht Folge der Immuntherapie. Bei einer Schuppenflechte sollte das Immunglobulin eher einen positiven Effekt haben als negativ.
Frage: Ich möchte wissen ob es aktuelle Studien zu Lewis Sumner Syndrom gibt?
Prof. Lehmann: Es gibt eine ältere Studie zu Kortison, aber Sie können auch CIDP-Studien heranziehen.
Frage: Was kann man bei Schmerzen, Kribbeln oder Muskelzucken machen?
Prof. Lehmann: Arzt und Patient sollten überlegen, was will ich und was kann ich erreichen. Wenn ich dieses Kribbeln auf etwa 50% reduzieren kann, dann ist das schon ein Therapieerfolg. Es gibt ein Sammelsurium von Medikamenten, die man ausprobieren muss.
Frage: Wie lange darf man Pregabalin in hohen Dosen zu sich nehmen?
Prof. Lehmann: Das Medikamente wurde zur Therapie von Krampfanfällen entwickelt. Das sind Medikamente, die über Jahre eingenommen werden.
Frage: Medizinischer Cannabis soll ja gut schmerzlindernd und entzündungshemmend sein, insbesondere auch bei Neuropathie (siehe ‚Empfehlung der Fachgesellschaft für SchmerzMedizin). Gibt es Neurologen, die sich da zusammengeschlossen haben, einzelne niedergelassene schrecken da etwas zurück zu behandeln. Gibt es innerhalb der Fachgesellschaft Neurologie eine Arbeitsgruppe?
Prof. Lehmann: Wir nutzen das nicht in unserer Ambulanz. Patienten berichten über gute Erfahrungen. Wir haben da keine Erfahrungen. Ich nehme das gerne auch mal auf. Ich werde das nochmal recherchieren.
Fragen: Schmerzen, die sich bei einem GBS Fall mit zunehmendem Alter verschlechtern, können Sie dazu besondere Therapien empfehlen? Wie ist bei Plasmaparese die Kostenübernahme geregelt?
Prof. Lehmann: Bei chronischen Schmerzen ist ein sogenanntes multimodales Konzept sinnvoll. Neben den Neurologen sind Schmerztherapeuten oder Schmerzkliniken die richtigen Partner. Plasmapherese ist eine zugelassene Therapie, da sollte es kein Problem geben.
Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen CIDP und SFN und welche Therapiemöglichkeiten?
Prof. Lehmann: Die CIDP betrifft zuerst die dicken Nerven. Man kann nicht ausschließen, dass die CIDP auch kleine Nerven angreift.
Frage: SFN Diagnose ist neu welche Prognose gibt es?
Prof. Lehmann: SFN lässt sich meistens sehr gut behandeln. Die wenigsten Patienten müssen dauerhaft behandelt werden. Meist ist eine Diabetes Ursache der SFN ein CIDP kann auch Ursache sein.
Frage: Was raten sie, wenn starke Schmerzen die Lebensqualität extrem beeinträchtigen?
Prof. Lehmann: Das ist eine Herausforderung und ein langwieriger Prozess. Es gibt eine ganze Reihe von Medikamenten, die in Kombination gegeben werden können. Ein Schmerzkonzept sollte mit einem Schmerztherapeut oder in einer Schmerzklinik erarbeitet werden. In Mainz gibt es eine. Es gibt eine Gesellschaft für Schmerztherapie, an die man sich wenden kann.
Frage: Gibt es auch Fälle von CIDP, bei der sich die Einschränkungen oder Symptome im Laufe der Jahre zurückbilden?
Prof. Lehmann: Diese chronische Erkrankung geht mit dauerhaften Defiziten einher. Aber ich habe auch Fälle, die mich überraschen. Der Körper kann sich regenerieren. Ein Nerv kann sich wieder auswachsen.
Frage: Nach einem akuten GBS, ist er eigentlich wieder relativ gut hergestellt, bei einer Kontrolluntersuchung hat man noch stark eingeschränkte Werte der Nervenleitgeschwindigkeit gezeigt.
Prof. Lehmann: Das ist nicht so ungewöhnlich. NLG zeigt gut beschädigte Nerven, aber es ist schon deutlich weniger gut geeignet, um den Krankheitsverlauf zu beschreiben. Entscheidend ist die Muskelkraft und Gangsicherheit.
Frage: Multifokale motorische Neuropathie, seit Mai 2019 Infusionen, die Beine machen große Probleme. Der Neurologe sagte mir das System fehlgeleitete Antikörper aktiviert die dann diese Probleme und verursachen. Die Infusionen sollen das zerstören. Mich interessiert was löst denn das aus, vielleicht zu viel Stress, zu wenig Schlaf?
Prof. Lehmann: Zu den Erkrankungen hat man eine Idee was passiert, man hat ein Konzept und Lücken, aber bei der MMN hat man viele Lücken. Die beschriebenen Schübe sprechen für die Diagnose. In einem Schub ist eine Infusion zusätzlich oder eine Erhöhung der Dosis vielleicht hilfreich.
Professor Lehmann herzlichen Dank, das war wieder eine wunderbare Runde.