Entzündliche Neuropathien – wann kommt die Apherese ins Spiel?

„Für Patienten, die an schweren Formen von Autoimmunerkrankungen unter Beteiligung von Antikörpern leiden, und bei denen herkömmliche Therapien nicht oder nur in unzureichendem Maße wirken, kann die Immunadsorption eine Therapieoption sein. Bei der Immunadsorption werden Autoantikörper entfernt und der Patient erhält sein eigenes, gereinigtes Plasma zurück.“ Das ist auf der Startseite des Apherese Forschungsinstituts (AFI) zu lesen. Prof. Dr. Klingel und Dr. Fassbender stellten uns online die Methoden vor.

Prof. Dr. Klingel ist Nephrologe und Internist, mit Lehrauftrag an den Universitätskliniken Mainz und Leiter des vor 20 Jahren gegründeten Apherese Forschungsinstituts in Köln. Dort beschäftigt man sich mit den wissenschaftlichen Fragen des Einsatzes der Apherese in vielen Gebieten der Medizin.

Frau Dr. Fassbender ist Leiterin Gesundheitswesen des Apherese Forschungsinstituts. Ihre Schwerpunktaufgabe ist der Bereich Neurologie. Sie ist für alle Fragen rund um das Thema therapeutische Apherese ansprechbar. Für die Kostenerstattung im ambulanten Bereich ist es manchmal notwendig einen individuellen Antrag an die Krankenkasse zu stellen. Dafür bietet Dr. Fassbender Beratung und Unterstützung an. Sie berät Ärzte, die letztendlich mit dem Patienten über die Behandlung entscheiden.

Beide bestätigen, dass man sich auch nach diesem Termin mit Fragen an sie wenden kann. Sie sehen ihre Aufgabe auch darin Informationen über alle Therapiemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Der aufgeklärte Patient, der über seine eigene Erkrankung Bescheid weiß, die Behandlungsmöglichkeiten kennt, kann in der Therapie besser mitwirken und mit seinem behandelnden Arzt die beste Therapiestrategie für sich selbst entwickeln.

Prof. Klingel begann seinen Vortrag ‚Wann kommt die Apherese ins Spiel‘ mit einem Bild eines Patienten, der gerade eine Apherese erhält. Er liegt relativ entspannt in seinem Bett. Er hat an seinem linken und rechten Arm jeweils eine Nadel in der Vene. Das Blut wird auf der einen Seite entnommen, läuft durch einen Filter und wird auf der anderen Seite wieder in den Kreislauf des Patienten zurückgegeben. Es gibt z.B. schwere Fettstoffwechselerkrankungen, bei denen Patienten lebenslang einmal in der Woche zur Behandlung kommen. Der Einsatz der Apherese ist nicht gleichbedeutend mit dem Aufenthalt auf einer Intensivstation.

Das Blut besteht zu etwa 45% Blutzellen, 55% sind Blutplasma. Das Plasma besteht zu 90% aus Wasser. In diesem Plasma sind mehr als 3500 Plasmaeiweiße. Sie erfüllen viele lebenswichtige Aufgaben im Körper. Sie dienen zum Beispiel als Transportvehikel für Hormone, Fette und Mineralstoffe. Über andere sprechen wir häufiger, die Antikörper.

Diese sind die Funktionsträger des Immunsystems. Sie werden zur Abwehr von Krankheitserregern und anderen Fremdstoffen gebildet. Antikörper werden in ihrer Gesamtheit auch als Immunglobuline bezeichnet.

Bei jeder Erkrankung muss man genau schauen, an welcher Stelle das Immunsystem gestört ist. An welcher Stelle kann man vielleicht eingreifen. So ist es wichtig diese Antikörper zu messen, um die beste Therapie zu finden.

Ungefähr die Hälfte der Antikörper befinden sich nicht im Blut, sondern verteilen sich im Gewebe. Apherese hat nur auf die Antikörper im Blut Zugriff. Wenn man diese entfernt, diffundiert ein Teil der Antikörper aus dem Gewebe ins Blut. Durch folgende Apheresen werden weitere Antikörper entfernt.

Es gibt verschiedene Verfahren der Apherese. Am bekanntesten ist sicher die Plasmapherese oder der Plasmaaustausch. Das ist das einfachste Verfahren. Das Blut wird aus dem Körper ausgeleitet. Das Plasma wird in einem Filter oder einer Zentrifuge abgetrennt und Plasma aus einer Spende (Frischplasma) oder eine Ersatzlösung mit menschlichem Albumin hinzugefügt. Dies wird in den Körper zurückgeleitet. Zur Behandlung der Autoimmunerkrankungen ist oft aber ein Plasmaaustausch nicht notwendig. Gezielter wäre, nur die Antikörper zu entfernen. In einem modernen Verfahren werden daher die Plasmabestandteile des Blutes über spezielle Adsorber geleitet, an deren Oberflächen die Antikörper haften. Das so gereinigte Plasma kann dann wieder in den Körper zurückgegeben werden. Das nennt man Immunadsorption.

Ein Aphereseverfahren ist eine schnelle Intervention. Antikörper werden schnell entfernt. Eine Infusion mit Immunglobulinen führt zu einem anderen Prozess. Die Zugabe von Antikörpern führt zu einem beschleunigten Abbauprozess der schädlichen Autoantikörper. Dies kann einige Tage dauern.

Prof. Klingel stellt die möglichen Nebenwirkungen dar. Insgesamt gesehen hat die Immunadsorption geringere Gefahren als die Plasmaaustauschbehandlung. Für beide Verfahren braucht man während der Therapie gerinnungshemmende Medikamente, damit es außerhalb des Körpers nicht zur Koagelbildung kommt. Die Apheresen können stationär oder ambulant durchgeführt werden.

Eine CIDP-Erkrankte, der Immunglobulin nicht mehr geholfen hatten, berichtet von ihren Therapieerfahrungen. Eine erste Serie von Apheresen hatte wirklich sehr geholfen. Parallel wird mit Endoxan behandelt. Einmal im Jahr werden etwa 5 Apheresen gemacht und die Betroffene hat seitdem keine Schübe mehr. In Zukunft soll ein Therapieabstand von einem halben Jahr geprüft werden.

Frage eines Teilnehmers, wie filtert man die richtigen Antikörper aus? Ist man nach der Apherese nicht besonders gefährdet?

Prof. Klingel: Wir können nicht gezielt einzelne Antikörper herausfiltern. Der Adsorptionsprozess nimmt alle Antikörper aus dem Plasma raus. Diese Behandlung führt nicht dazu, dass Zellen die Antikörper bilden, angegriffen werden. Der Körper produziert sofort neue Antikörper, d.h. die Apherese ist i.d.R. keine alleinstehende Therapie, sondern Bestandteil eines Therapiekonzepts in Verbindung mit Medikamenten. Der Anteil der Antikörper, der entfernt wurde, führt nicht zu einem starken Absinken der Immunabwehr.

Dr. Fassbender stellte die Therapieoption Apherese für die Autoimmunerkrankungen vor. Eine Autoimmunität entsteht, wenn das Immunsystem außer Kontrolle gerät. Wenn die Ähnlichkeit zwischen Krankheitserregern und körpereigenen Strukturen groß ist, kann es zum Autoimmunprozess führen. Autoantikörper greifen den eigenen Körper an. Die Immunadsorption kann diese Autoantikörper entfernen. Weitere Ursache für Autoimmunerkrankungen kann Veranlagung sein, also eine erbliche Variante, aber auch Umweltfaktoren können so wirken. GBS tritt häufiger im Frühjahr und Herbst auf. Das sind die Hochzeiten von Virusinfektionen.

Dr. Fassbender zählt die neurologischen Autoimmunerkrankungen auf, die mit einer Apherese behandelt werden können. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft Neurologie zur Therapie der CIDP und des GBS ist die Apherese aufgeführt.

Es gibt keine Studien, die eine Immunglobulin-Therapie bei CIDP mit der Apherese vergleichen. Untersuchungen anhand von Fallserien zeigen die Wirksamkeit der Immunadsorption bei CIDP. Sie zitiert 2 Studien. Sowohl in der Charité als auch in der Uniklinik Köln konnte an verschiedenen Patienten eine deutliche Wirksamkeit der Immunadsorption dargestellt werden. Die guten Erfahrungen im Langzeiteinsatz stellte Dr. Fassbender mit Daten der Uniklinik Ulm dar.

Frage: Wenn der Antikörperspiegel sozusagen gesenkt wird, werden im Körper dann verstärkt Antikörper nachgebildet und ist das dann nicht negativer, als wenn man einen Plasmaaustausch macht?

Prof. Dr. Klingel: In einer Arbeit aus dem allgemeinen Krankenhaus der Uniklinik Wien wurde das untersucht. Das Ergebnis, nachdem diese Antikörper aus dem Plasma entfernt wurden, kommt es zu einem Umverteilungsprozess. Zu einer verstärkten Synthese von Antikörpern kommt es nicht.

Der aktuelle Lieferengpass bei Immunglobulinen kann auch ein Argument für diese Therapie sein. Es folgte ein Austausch über die Folgen des Lieferengpasses von einigen Immunglobulinen. Die meisten Patienten die subkutan therapiert werden beziehen ihre Medikamente über Apotheken. „Also im September Oktober gab es aber immer nur 50% der verordneten Dosis,“ beschreibt Rainer Zobel die Situation. „Heute habe ich gerade wieder gehört, dass tatsächlich keine neuen Patienten umgestellt werden, einfach aus dieser Notsituation heraus,“ so Rainer Zobel. Es gibt nur ein zugelassenes Medikament, Hizentra. Bei vergleichbaren Präparaten ist die Frage wie der Arzt damit umgeht. Bekommt man ein Rezept für ein anderes Medikament, oder ist die Furcht vor einer Regressforderung bei Verschreibung von nicht zugelassenen Medikamenten zu hoch. Da aber die anderen Präparate nicht teurer sind wäre es schwierig einen Regress zu begründen. Aber einige Patienten mussten wieder auf intravenös umstellen und dann stationär in die Klinik gehen.

Frage: Die meisten Patienten, die in den Studienergebnissen dargestellt wurden, waren nach einigen Jahren auf Apherese umgestellt worden. Werden die meisten Entscheidungen für diese Therapieoption sehr schnell nach Diagnose getroffen?

Dr. Fassbender: Es gibt noch keinen objektiven Faktor für eine Entscheidung für die Apherese. Eine Arbeit der Uniklinik Ulm zeigt keinen Unterschied im Ansprechen auf das Aphereseverfahren, unabhängig ob bei den Patienten spezifische Autoantikörper festgestellt waren.

Prof. Dr. Klingel: Es wäre wünschenswert die Möglichkeiten der Apherese zur Behandlung der CIDP mehr niedergelassenen Ärzten bekannt zu machen. In den Unikliniken sind die Verfahren bekannt.

Ein Teilnehmer bestätigt dieses Informationsgefälle. Seine Frau wurde sehr lange mit Cortison behandelt. Es kam immer wieder zu schweren Schüben. Ein Neurologe weigerte sich in einem Schub zu überweisen. Sie sind als Notfall in die Klinik und es wurde behandelt. Besser wurde es erst nach einem Kontakt zu Dr. Stettner. In der Uniklinik Essen konnte seiner Frau sehr geholfen werden. Sie bekommt auch keine Schüler mehr.

Prof. Dr. Klingel: Das ist ein Phänomen, das man bei der Apherese sieht. Wenn aus dem Plasma Antikörper herausgeholt wurden, kommt es zum Umverteilungsprozess im Körper. Dann stellt sich nochmal ein anderes Gleichgewicht ein.

Bezogen auf die Auswahl der Therapie betonen beide, dass eine Immunadsorption sinnvoller scheint, wenn man rascher eingreifen muss. Wenn eine heftige Krise droht, man das Bett mit dem Beatmungsgerät reservieren muss, dann kann die Apherese vielleicht die Notwendigkeit der Beatmung vermeiden. Der Prozess der Antikörperreduktion passiert unmittelbar.

Frage von Rainer Spahl: Gibt es einen Kostenvorteil dieser Therapie?

Prof. Dr. Klingel: Eine Immunadsorption kostet ca. 2500 Euro. Es ist ein teures Verfahren. Man sollte sich nicht an den Kosten stören, wenn es hilft. Im akuten Fall gehört sie im Krankhaus bei CIDP zu den Standardverfahren neben dem Plasmaaustausch. Die allgemeine Zulassung besteht für alle Erkrankungen, bei denen Antikörper entfernt werden müssen.

Daraus entstand ein Gespräch über die Therapiekosten. Manche sehen alle 4 Woche viele Tausende Euro Kosten für Immunglobuline.

Zur Kostenübernahme führte Dr. Fassbender aus, dass es einen Unterschied zwischen dem stationären Bereich, also während der Krankenhausbehandlung und dem ambulanten Bereich gibt. Im stationären Bereich erfolgt die Abrechnung zwischen dem Krankenhaus und der Krankenkasse. Für die ambulante Behandlung ist ein Antrag auf Kostenübernahme im Einzelfall bei der Krankenkasse notwendig. Wenn festgestellt wurde, dass eine Apherese gute Ergebnisse erzielt, sollte dies detailliert beschrieben werden. Dann hat ein Antrag auch Aussicht auf Erfolg. Die Therapie ist leitliniengerecht.

Frage: Eine CIDP Erkrankte wird seit 2 Jahren nicht mehr medikamentös therapiert. In der akuten Phase habe Rituximab gut gewirkt. Wäre eine Apherese auch eine Therapieoption für sie, wenn die CIDP wieder akut würde?

Prof. Dr. Klingel: Vielleicht kann man sich das so vorstellen, durch Rituximab wurden alle B-Zellen zerstört und das System resettet. Der Autoimmunprozess wurde gestoppt. Wenn man weiß, dass ein Wirkstoff gut wirkt sollte man da wieder ansetzen.

Die CIDP verläuft in der Mehrzahl der Fälle anders. Die meisten Patienten werden kontinuierlich behandelt. Aber in der Runde waren verschiedene Teilnehmer, die sehr unregelmäßig behandelt wurden und werden. Professor Klingel hatte die Antikörperdiagnostik angesprochen. Mittlerweile versuchen verschiedene Forschungsgruppen Korrelationen zwischen Ausprägung der Erkrankung und Autoantikörpern zu finden. In den vergangenen Jahren hat man gelernt, dass der Antikörpernachweis bei bestimmten Erkrankungen eine Untergruppe definieren kann. Eine solche Diagnostik kann in einigen neurologischen Kliniken durchgeführt werden. Zukünftig wird man hoffentlich mehr Korrelationen finden. Die forschenden Mediziner in diesen Bereichen sind aktiv und brauchen uns als Studienteilnehmer. Daten sind bei einer seltenen Erkrankung auch ein Engpass.

Frage: Gibt es Erfahrungen zur Wirksamkeit der Apherese bei Schmerzen?

Dr. Fassbender konnte über einen Fall berichten bei dem mit Immunadsorption deutliche Reduzierung der Schmerzen erzielt werden konnten.

Ein Teilnehmer berichtete von einer zurückliegenden Erfahrung mit Apherese. In der Phase der hohen Krankheitsaktivität wurde ein Zyklus von fünf Apheresen durchgeführt. Innerhalb von Stunden hatte er das Gefühl der Besserung. Das hielt nur sechs Wochen. Dann folgte der nächste Absturz. So wurden uns verschiedene Erfahrungen mit Apherese berichtet.

Wir sagten herzlichen Dank für einen sehr interessanten Abend. Danke an Prof. Dr. Klingel und Dr. Fassbender, dass sie sich die Zeit genommen haben und mit uns auf die vielen Fragen eingegangen sind und sie über folgende Adressen gerne weitere Fragen beantworten:

Kontakt:

Apherese Forschungsinstitut Köln

www.apheresis-research.org

E-Mail: fassbender@apheresis-research.org