29. Gesprächskreis Regionalverband Kurpfalz – online am 05.04.2022

„Langzeittherapie mit IVIG (Intravenöse Immunglobuline) und Umstellung von IVIGauf SCIG (Subkutane Immunglobuline)“

Nach Anregung unserer Referenten, Frau Dr. Pitarokoili und Herrn Prof. Dr. Yoon, haben wir für unseren 29. Gesprächskreis die Thematik allein auf CIDP abgestellt.

Priv. Doz. Dr. med. Kalliopi Pitarokoili, Geschäftsführende Oberärztin, Neurologische Universitätsklinik am St. Josef Hospital, Katholisches Klinikum Bochum gGmbH.

Frau Dr. Pitarokoili berichtete in einer Zusammenfassung über die Langzeittherapie mit IVIG. Ausschlaggebend ist die Beantwortung der Frage, wie erkennen wir, dass ein Patient auf die Behandlung mit IVIG gut anspricht und Nebenwirkungen minimiert werden (siehe auch Leitlinien https://dgn.org/presse/pressemitteilungen/neue-ean-pns-leitlinie-zur-chronischen-inflammatorischen-demyelinisierenden-polyradikuloneuropathie-cidp/ ).
Nicht jeder soll direkt mit Immunglobuline behandelt werden, Patienten müssen zunächst gut charakterisiert werden, weil wir es mit verschiedenen Varianten von CIDP zu tun haben (Siehe auch unser Flyer CIDP: Sensorische CIDP, Lewis-Sumner-Syndrom oder MADSAM, CIDP mit MGUS, Axonale Varianten).

Zur Diagnostik kommen nicht nur Elektroneurographie sondern auch Nervenultraschall in  Frage (Schwellung der Nerven) ebenso wie MR-Neurographie oder auch die Nervenbiopsie. Dabei geht es auch darum, die Wirksamkeit der Therapie mit Immunglobuline zu beurteilen. Nicht zuletzt hat auch die Liquoruntersuchung (Nervenwasseruntersuchung) Bedeutung.

Zur Therapie sagt die Leitlinie, dass bei unsicherer Lage, ein Therapieversuch erfolgen muss. Dabei bedeutet eine Basistherapie die Gabe von Kortison, Immunglobuline und für schwere Fälle Plasmapherese. Bei schlechtem Ansprechen kommen Therapien mit Azathioprin oder Rituximab in Frage. Bezogen auf die Langzeittherapie kann es sein, dass Immunglobuline weniger wirken und mit Kortison ergänzt werden müssen (das gilt auch umgekehrt), weil sich die CIDP verändern kann. Anmerkung: In Bochum gibt es Auswertungen über ca. 15 Jahre hinweg, welche Patienten (welche CIDP-Variante) von welcher Therapie am meisten profitiert haben. Z.B. Fälle von MADSAM, auch Lewis-Sumner-Syndrom genannt, sprechen nicht so gut auf die Therapie mit Immunglobuline an (Immunglobulinpräparate wie z.B. Privigen, Gamunex, Octagam). An dieser Stelle geht es um Nebenwirkungen, auch in Kombination mit anderen Erkrankungen wie Diabetes, Nierenerkrankung oder Herzerkrankung.

Für CIDP-Patienten mit einer Behandlung mit Immunglobuline stellt sich grundsätzlich die Frage, bin ich stabil oder nicht bzw. brauche ich eine Veränderung der Therapie. Antwort auf die Frage ergibt sich durch eine halbjährliche Untersuchung. Beispielsweise haben CIDP-Patienten trotz der Behandlung mit Immunglobuline sehr starke Schmerzen und weitere Symptome wie Stimmungsschwankungen, Fatigue, Probleme mit der Lebensqualität. Weitere Frage: Sind auch die Entzündungsmarker im Blut in Ordnung? Muss die Therapie evtl. um Azathioprin (Immunsuppressiva) oder Rituximab (therapeutische Antikörper) erweitert werden?
Es gilt an allgemeine Lebenseinflüsse (z.B. Stress) sowie andere Erkrankungen (z. B. Infekte oder Tumorerkrankungen) zu denken, die das Immunsystem mit betreffen können und somit in der Folge die Immunglobuline nicht mehr ausreichend wirken.

In einer ersten Fragerunde konnte Frau Dr. Pitarokoili diverse Antworten geben, wobei erneut die individuellen Unterschiede zwischen einzelnen Betroffenen und zudem Schwankungen im speziellen Einzelfall deutlich wurden. Dies bezog sich vor allem auf die Zusammenhänge zwischen Dosierung, Zeitabständen und Wirkung der Immunglobuline.

Prof. Dr. med. Min-Suk Yoon, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Neurologie, Augusta-Kranken-Anstalt gGmbH, Hattingen.

Sehr bedenkenswert auch die grundsätzlichen Hinweise von Herrn Prof. Dr. Yoon auf die Fragen von Teilnehmern:

Bei chronischen Erkrankungen hat man gute und schlechte Phasen und es wäre ein Fehler, die biologischen Gegebenheiten wie in eine Formel einzusetzen. Für die individuellen Wahrnehmungen gibt es nicht immer eine Erklärung. Eine Erkrankung wie die CIDP verläuft niemals linear, verlässliche Gesetzmäßigkeiten sind kaum möglich. Dies zu erkennen und zu akzeptieren, kann für die Patienten den schwankenden Verlauf der Erkrankung annehmbarer machen. Nochmal besonders hinsichtlich der Wirkung stellt sich die allererste Gabe von Immunglobuline nach der Diagnose CIDP dar. Es sollte nicht übersehen werden, dass die Erkrankung schon Monate vor der Diagnose – teils verborgen – aktiv war und nun die ersten Immunglobuline zunächst eine gewisse Stabilisierung erreichen müssen, bevor an eine wirkliche Besserung zu denken ist.

Frau Dr. Pitarokoili erwähnte auf eine Frage hin den Eigenbeitrag zur Verbesserung des Immunsystems, nämlich regelmäßigen Sport sowie die Ernährung. Grundsatz: Wenig Fleisch, viel Gemüse und Obst. – Im St. Josef Hospital, Bochum, läuft jetzt seit Januar 22 die erste Studie „Ernährung und CIDP, wie beeinflusst die Ernährung die CIDP?“ (60 Patienten, ein Jahr). Speziell geht es um die sog. Propionsäure (Fettsäure). Zitat: im Labor hat man gesehen, die Nerven sind „fitter“ unter Propionsäure. – Anmerkung: bei MS Patienten hat sich Proprionsäure positiv ausgewirkt, nun soll das auch für CIDP im Rahmen einer Studie überprüft werden.

Prof. Dr. Yoon übernahm es, Überlegungen zu „subkutane Immunglobuline“ darzustellen. 2009 gab es eine Studie in der Patienten mit einer entzündlichen Neuropathie, subkutan behandelt wurden. Diese bekamen die Hälfte der Ausgangsdosis der Immunglobuline (gegenüber intravenös). Das Scheitern der Studie warf die Frage auf, was passiert, wenn man die Patienten auf der gleichen Dosis Immunglobuline belässt? Ergebnis, 4 von 10 Patienten blieben stabil. In einem Fall wurde mit Erhöhung der Dosis Stabilität erreicht. Was geschieht, wenn man Immunglobuline intravenös gibt? Zu Beginn der Gabe erreicht man einen relativ hohen Spiegel, der dann wieder abfällt. Erfahrungsgemäß verschlechtern sich die Patienten zwischen der zweiten und dritten Halbwertszeit (Anmerkung: Die biologische Halbwertzeit bezieht sich auf Medikamente und bezeichnet die Zeit, in der die Hälfte des Wirkstoffs vom Körper ausgeschieden oder abgebaut wurde). Studien zeigen, dass die Immunglobuline in der Dosis 1:1 intravenös zu subkutan wirksam sind. Fazit aus der Studienlage: Es lässt sich für eine Umstellung von intravenös auf subkutan ableiten, die Pause zwischen dem letzten IVIG-Tag und dem ersten subkutanen Tag sollte so kurz wie möglich sein.

Wie kann man also umstellen? Ein Beispiel: Nach der letzten IVIG, Beginn mit 25% von der errechneten IVIG-Menge in der ersten Woche, in der zweiten Woche 50% und in Woche drei die volle Dosis. – Hinweis: Keine Angst vor hohen Dosen. Vorgehensweise von Prof. Dr,Yoon: Letzte IVIG war gegeben und bereits in der Folgewoche (weniger als 5 Tage dazwischen) Beginn mit dem subkutanen Präparat. Zahlenbeispiel: bei Körpergewicht 100kg Beginn mit durchschnittlich 25g (in 4 Wochen 25g pro Woche). Das wird am Anfang eine etwas überschwellige Dosis bedeuten, was vor dem Abfall des Immunglobulinspiegels bewahren kann.

„Fallstricke und offene Fragen“ (Quelle: Folien, Prof.Dr.Yoon):

Wer kommt überhaupt in Frage?

  • Handfunktion?
  • Dosislimitation/Körpergewicht?
  • Verständnis/Handling: Was, wenn die Schulung nicht klappt?

IVIG Vorbehandlung vs SCIG direkt nach Diagnosestellung?

  • Pro und contra.

Wie stellt man die Therapie von IVIG auf SCIG um?

  • Pharmakokinetik (Erklärung: Die Pharmakokinetik beschreibt die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt. Dazu gehören die Aufnahme, Verteilung im Körper, der biochemische Um- und Abbau sowie die Ausscheidung des Arzneistoffes).
    Wann ist der richtige Zeitpunkt der Umstellung?
  • 3 oder 6 Monate nach IVIG

Anfangsdosis?

  • Dosisäquivalent?
  • Hohe Einstiegsdosis?
  • Dosistitration von unten? (Erklärung: Langsame, stufenweise Anpassung der Dosis eines Arzneimittels)

Empfehlungen:

  1. Stand heute: Erhaltungstherapie, also immer nach IVIG Vorbehandlung.
  2. Dosisäquivalenter Anfang 1:1!
  3. Start direkt, also Folgewoche nach IVIG.
  4. Mindestens 3 Monate IVIG, sogar bis zu 6 Monate

Ganz wichtig: Klinische Kontrolle durch einen CIDP-erfahrenen Arzt.

In einem dritten Abschnitt des 29. GK berichtete Frau List von ihren Erfahrungen mit der Umstellung auf SCIG (Siehe auch „Selten bis es Dich trifft CIDP, GBS und viel mehr“, Herausgeber: Deutsche GBS CIDP Selbsthilfe e.V.).
Zusammenfassung: Seit 2002 die ersten Symptome (Schmerz,Taubheit, leichte motorische Ausfälle, Fußheberschwäche). 2005 Diagnose CIDP. Immunglobulingabe mit sofortiger positiver Reaktion, Kortison wirkte nur in hohen Dosen, 80g Immunglobuline alle 6 Wochen intravenös (verbunden mit Kopfschmerz, 3-4 Tage Migräne). Erst 2-3 Wochen gut, dann Verschlechterung und letzte 2 Wochen vor der nächsten Immunglobulingabe quälend. Vorschlag in Tübingen: Umstellung auf subkutan (erste Patientin in T.). Einweisung von Fa. Behring. Übereinstimmend mit den Ausführungen von Prof. Dr. Yoon, erfolgte die erste subkutane Anwendung möglichst schnell nach der IVIG. Zunächst war die SCIG-Dosis zu niedrig (in der Folge mit Verschlechterung). Nach 2 Monaten mit IVIG wieder SCIG aber mit erhöhter Dosis. Im ersten Jahr mit SCIG wurden alle 3 Monate zusätzlich 40g IVIG gegeben. Erfolgreich! Keine Beschwerden, Sport wieder möglich. Von 2010 an kontinuierliche Aufwärtsentwicklung. In der Folge regelmäßig jeden Monat 100g Hizentra verteilt auf mehrere Gaben. Inzwischen Reduzierung auf 80g Hizentra, nach Verschlechterung wieder Erhöhung auf 90g. Damit sind sportliche Aktivitäten möglich. Das Handling mit der Pumpe wurde als einfach dargestellt (für 10 g ca. 1,5 Std.), man wird geschult, sammelt Erfahrung, Tendenz, es wird über die Zeit immer einfacher. Regelmäßige Kontrolle im Krankenhaus. Vor Urlauben in Regionen mit 30 Grad zusätzlich intravenöse Gabe von 60g (reicht für 2 Wochen, bedeutet kein Vorrat mitnehmen, weil IG nur bis 25 Grad haltbar). – Enge Verzahnung Klinik und Krankenkasse nach Einschätzung von Prof. Dr. Yoon zwingend, gerade auch für langfristige Behandlung.

Nicht nur interessant, sondern auch sehr wichtig für alle, die Immunglobuline brauchen:
Lieferengpässe bei der Versorgung mit Immunglobuline.

Ein Interview aus der Wirtschaftswoche:

https://www.wiwo.de/unternehmen/mittelstand/lieferengpaesse-bei-medikamenten-warum-gibt-es-zu-wenig-blutpraeparate-herr-hoheisel/27643604.html

Unser Dank gilt Frau Dr. Pitarokoili und Herrn Prof. Dr. Yoon für ihre höchst informativen Vorträge und die Beantwortung von Fragen aus dem Kreis von insgesamt 48 Teilnehmern. Ferner danken wir Frau List für ihren sehr anschaulichen Erfahrungsbericht und Felix Burger für seine Rolle als „Host“.

Mit den besten Grüßen aus der Kurpfalz

und … bleiben Sie auch im Sommer 2022 gesund und virenfrei!

Hans Steinmassl